Steinkohle und Krieg: Akadien

Krieg für Öl – so lautete der Vorwurf an die USA, als sie 1990 und 2003 Krieg gegen den Irak führten. Dass Kriege zur Sicherung von Rohstoffen geführt werden, ist dabei nicht neu, aber historisch vielleicht ein wenig unterbeleuchtet. In einem Aufsatz habe ich mir die Aufgabe gestellt, den Nachweis zu erbringen, dass relativ zum Beginn der Expansion Englands auf dem nordamerikanischen Kontinent ein Krieg um einen speziellen Rohstoff stand.

Um die Jahrhundertwende 1700 hatten die Franzosen im heute zu Kanada gehörenden Insel- und Halbinselarchipel von Cape Breton, Neuschottland und Akadien Steinkohle entdeckt. Franzosen hatten damals relativ wenig Erfahrung mit diesem Brennmaterial, aber einige fingen an, danach zu graben. Das gefiel den Engländern weiter südlich, denn sie kannten den Rohstoff schon seit Jahrhunderten: Waffenbauer, Schmiede, Bierbrauer – all diese Berufsgruppen nutzten im Mutterland Kohle, die in der Kolonie nicht vorhanden war. Bostoner Händler fingen nun an, die Kohle von den nördlichen lebenden Franzosen zu kaufen – aber diese Situation war sehr unbefriedigend.

carte_nlle_ecosse_1733
New-Schottland, Karte von 1733. (http://www.mwlandry.ca)

Als sich kriegerische Auseinandersetzungen, die auch im Zusammenhang mit dem Pfälzischen Nachfolgekrieg standen auch in Nordamerika ausweiteten, sprachen sich britische Offiziere dafür aus, den Franzosen die Steinkohlevorkommen abzuluchsen. So sah dann der Friede von Utrecht 1713 vor, dass genau das Gebiet englisch wurde. Aus der französischen Kolonie wurde eine englische. Die Franzosen blieben dort leben, aber die Gruben gingen peu à peu in englischen Besitz über.

Die am Cap Breton waren die ersten durch Europäer ausgebauten Steinkohlevorkommen auf dem amerikanischen Kontinent. Einmal eingenommen, sicherten sie die britische Herrschaft – erst jetzt konnten in Boston Waffen hergestellt werden. Kohle musste nun auch nicht mehr teuer aus England importiert werden – vielleicht ein erster Schritt hin zu einer größeren Unabhängigkeit der Siedler von der Krone in London…

Der Gesamt Artikel ist frei online zu lesen bei Francia (43, 2016). Die Zeitschrift erscheint im Jan Thorbecke Verlag im Druck und als E-Book.

 

Die vollständige Literaturangabe lautet:
Helge Wendt, Kohle in Akadien. Transformationen von Energiesystemen und Kolonialregimen (ca. 1630–1730). In: Francia 43 (2016), S. 119–136.

Becoming Global: Difficulties for European Historiography in Adopting Categories of Global History

Theodor_Mommsen_02
Der Althistoriker Theodor Mommsen (1817–1904)

 

Dieser Artikel stellt ein Problem vor: Warum reflektiert die europäische Geschichtsschreibung ihre Stellung im globalen Kontext nicht so intensiv, wie es Geschichtsschreibung in Indien, Afrika oder Lateinamerika seit einigen Jahrzehnten macht?
Der Artikel ist auf Englisch geschrieben und möchte unterstreichen, dass interkulturelle Bezüge für Geschichtsschreibung fundamental sein sollten. Die anderen Beiträge zum von Sonja Brentjes herausgegeben Sammelband beziehen sich auf interkulturelle Zusammenhänge von Entwicklungen in der islamischen Geschichte. Mein Aufsatz stellt verschiedene Beispiele wie Theodor Mommsens Geschichte Roms (Bild oben) vor, wie gängige Narrative der Abgrenzung des Sujets durch eine interkulturelle Perspektive, also einen Ansatz von Vermischung und Verbindungen sich verändern können.

Vollständige Angabe:
Becoming Global: Difficulties for European Historiography in Adopting Categories of Global History. Some Remarks, hg. v. Sonja Brentjes, Taner Edis und Lutz Richter-Bernburg, 1001 Distortions. How (Not) to Narrate History of Science, Medicine and Technology in Non-Western Cultures, Würzburg: Ergon-Verlag 2016, 39–51.

The Globalization of Knowledge in the Iberian Colonial World

Wie verbreitete sich Wissen im ersten transatlantischen Herrschaftsraum seit dem 16. Jahrhundert? Wie und in welcher Form gelangte Wissen aus den Amerikas, speziell aus Lateinamerika nach Europa?Wie zirkulierte es zwischen den Regionen in Amerika? In welchem Verhältnis standen europäische, amerikanische und asiatische Wissensstandorte zueinander? Und wie wurde europäisches Wissen im amerikanischen Raum verändert? Diesen Fragen widmen sich elf Beiträge von unterschiedlichen Blickwinkeln. Sie behandeln die kolonial-iberische Wissensökonomie aus transkolonialer Perspektive vom frühen 16. bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert: Botanik, Bergbau, Medizin oder Moral sind hierbei nur vier der Themenfelder die intensiv untersucht werden.

Cover_Iberia.medium

Die interkulturellen, multilingualen und administrativen Kontexte spielen eine wichtige Rolle und werden auch in Hinblick auf eine Langzeitentwicklung des Verhältnisses von Menschen und natürlicher Umwelt betrachtet. Schließlich wird die Entwicklung von Wissen  über Natur als Voraussetzung von Ausbeutungspraktiken der natürlichen Umwelt in den Amerikas im Zeitalter des Anthropozäns skizziert.

Ich habe fast zwei Jahre an diesem Sammelband gearbeitet, der das Ergebnis eines Workshops ist. Zu diesem Treffen am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte sind viele Kolleginnen und Kollegen gekommen, die ich dort erst kennen- und schätzen gelernt habe. Der Austausch mit ihnen hat viel Spaß gemacht und ich habe eine Menge lernen dürfen.

Der Band kann vollständig und umsonst online gelesen werden: Edition Open Access 10

Inhaltsverzeichnis:

  1. Helge Wendt: Introduction: Competing Scientific Cultures and the Globalization of Knowledge in the Iberian Colonial World
  2. José Pardo-Tomás: Making Natural History in New Spain, 1525–1590
  3. Lars Kirkhusmo Pharo: Transfer of Moral Knowledge in Early Colonial Latin America
  4. Sonja Brentjes: Issues of Best Historiographical Practice: Garcia da Orta’s Colóquios dos simples e drogas e cousas medicinais da India (Goa, 1563) and Their Conflicting Interpretation
  5. Emma Sallent Del Colombo: Transferring Natural Knowledge in Early Colonial New Spain from Franciscan Sources: Motolinía’s Historia de los Indios de la Nueva España (1541–1569)
  6. Timothy D. Walker: Global Cross-Cultural Dissemination of Indigenous Medical Practices through the Portuguese Colonial System: Evidence from Sixteenth to Eighteenth-Century Ethno-Botanical Manuscripts
  7. Angélica Morales Sarabia: Women’s Medicine in the Cuatro Libros de la Naturaleza of Francisco Ximénez (1615): Interchanges and Displacements
  8. Mauricio Sánchez Menchero: Sheets of Paper, Tobacco Leaves: The Circulation of Knowledge About New World Plants Through Printed Books (Sixteenth and Seventeenth Centuries)
  9. Nuria Valverde Pérez: Underground Knowledge: Mining, Mapping and Law in Eighteenth-Century Nueva España
  10. Helge Wendt: Coal Mining in Cuba: Knowledge Formation in a Transcolonial Perspective
  11. Helge Wendt: Epilogue: The Iberian Way into the Anthropocene

Vollständige Literaturangabe:
Helge Wendt (Hg.). The Globalization of Knowledge in the Iberian Colonial World, Berlin: Edition Open Access 2016.

Die missionarische Gesellschaft — The missionary society

Wendt_Missionarische-Gesellschaft_CoverKurztext

Aus kulturhistorischer Perspektive zeichnet Helge Wendt die Gesellschaftsgestaltung durch katholische und protestantische Missionare aus verschiedenen europäischen Kolonialstaaten zwischen 1700 und 1900 nach. Dabei arbeitet er besonders den inhaltlichen und theoretischen Zusammenhang von Mission, Globalisierung und Kolonialismus heraus.
Der Fokus liegt auf der Missionssiedlung, in der die missionarische Gesellschaft verwirklicht werden sollte. Wie stellten sich die Missionare das Zusammenleben von nicht-europäischen und europäischen Gruppen vor und welche Formen konnten sie verwirklichen? Wie trugen die Erziehungsbemühungen zur Integration der missionarischen Gesellschaft bei? Und wie sollte sich die Förderung eines indigenen Klerus im schwierigen kolonialen Kontext gestalten? Beispiele aus spanischen, englischen und französischen Kolonialgebieten in Süd- und Nordamerika, West- und Ostafrika, Indien, Sri Lanka und den Philippinen verdeutlichen einen diskursiven Zusammenhang, der sich in den Missionen vor Ort zu einer mestizischen Gesellschaft verdichtete.

From a cultural-historical perspective, Helge Wendt traces the social structure of Catholic and Protestant missionaries from various European colonial states between 1700 and 1900. In doing so, he particularly works out the contextual and theoretical connection between mission, globalisation and colonialism.
The focus is on the mission settlement in which the „missionary society“ should be realized. How did the missionaries imagine the coexistence of several non-European and European groups? How did the educational efforts contribute to the integration of the „missionary society“? And how should the promotion of an indigenous clergy be shaped in the difficult colonial context? Examples from Spanish, English and French colonial areas in South and North America, West and East Africa, India, Sri Lanka and the Philippines illustrate a discursive context that condensed into a mestizo society in the local missions.

Franz Steiner Verlag